Der Hase

Ein Mädchen lebte mit ihrer Mutter und ihrem Vater in einem Hause. Die Mutter ging fort und sagte zu ihrem Kind:
"Mädchen, schaue gut auf deinen Vater!"

Jedoch das Mädchen sorgte nicht gut für ihren Vater, sondern liess ihn hungern. Als die Mutter zurückkam, fand sie den Vater ganz abgemagert vor. Da jagte sie das Mädchen mit einem grossen Korb in den Wald, damit es Tamarinden suchen sollte. Sie kam zu einem grossen Baum, der den Tieren gehörte, aber die Tiere waren fortgegangen. Das Mädchen sammelte ihren Korb voll Früchte von diesem Baum. Als die Tiere abends zurückkamen, fanden sie das Mädchen oben auf dem Baum und freuten sich sehr auf das Fleisch dieses Mädchens, wenn sie es verspeisen würden. Sie sagten:
"Nicht jetzt, sondern morgen früh wollen wir es essen."

Und sie schliefen alle unten am Baume ein, damit das Mädchen ihnen nicht fortlaufen konnte.

Nachts erwachte der Hase, stieg auf den Baum und fragte das Mädchen, ob es leben oder sterben wollte. Das Mädchen wollte am Leben bleiben, und da fragte sie der Hase:
"Was gibst du mir, wenn ich dich befreie?"
Das Mädchen erwiderte:
"Ich gebe dir alles, was du verlangst."
"Ich verlange also Hennen von dir. "
"Wieviel Hennen verlangst du?"
"Viele, sehr viele."
"Wenn ich nach Hause komme, sollst du sie haben."

Dann stiegen beide hinab und gingen nach dem Hause des Mädchens. Darauf gab das Mädchen dem Hasen so viele Hennen, bis er zufrieden war. Der Hase nahm die Hennen und kehrte damit in den Wald zurück. Dort schlachtete er die Hennen und goss das Blut in eine kleine Schüssel. Als er sich satt gegessen hatte, kam er wieder zum Baum und brachte die Schüssel mit, dann nahm er das Blut und bestrich damit das Maul und die Krallen der Hyäne. Dann ging er schlafen.

Am andern Morgen erwachten alle Tiere, nur der Hase allein schlief scheinbar noch, er hörte aber alles. Die Tiere sprachen eins zum andern:
"Jetzt wollen wir das Fleisch essen."
Aber das Fleisch war nicht da. Sie fragten:
"Wo ist denn das Fleisch geblieben?"
Der Hase sagte:
"Ich weiss es nicht, aber die Hyäne hat es gewiss gefressen, denn sie hat ja Blut am Maul und an den Krallen."
Da wurden einige Tiere böse und schlugen die Hyäne, aber andere glaubten es nicht. Da sprach der Hase:
"Wir wollen eine grosse, breite Grube graben, darin Feuer anmachen und alle Tiere hinüberspringen lassen. Der, der hineinfällt, ist der Schuldige."

Sie sprangen denn auch, einer nach dem andern, aber alle fielen hinein, nur der Hase sprang nicht, er entfloh voller Freuden in den Wald, weil er pfiffig war.

Im Walde traf er mit dem Fuchs zusammen. Sie suchten miteinander Früchte von einem Baum, der einem anderen Herrn gehörte. Als dieser kam, um die Früchte zu pflücken, fand er nur noch wenige. Er meinte, dass sie von Dieben gestohlen seien, und wollte diese fangen, wenn sie wiederkommen würden.

Er formte eine Figur aus Gummi und stellte sie oben in den Baum. Als nachts wieder der Hase und der Fuchs kamen, um von den Früchten zu essen, sahen sie das Mädchen dort oben. Der Hase stieg hinauf, aber das Mädchen rührte sich nicht. Da stiess der Hase das Mädchen, aber da blieben seine Beine am Gummi kleben. Er schrie:
"Lass mich los, lass mich los!"

Aber das Mädchen liess ihn nicht los. Da rief er den Fuchs, dass er ihm helfen möchte. Der Fuchs stieg nun auch hinauf, blieb aber ebenfalls kleben. Da sprach der Hase zum Fuchs:
"Wenn nun der Herr des Baumes kommt und uns schlägt, was machst du dann?"
"Dann werde ich jammern."
"Jammere nicht viel, sondern nur ganz wenig. Dann stelle dich tot, damit er denkt, du seist gestorben."

Als am andern Morgen der Herr des Baumes kam, fand er die beiden da oben. Da stieg er hinauf und schlug sie beide. Der Fuchs jammerte gottserbärmlich, aber der Hase jammerte nur wenig, und dann stellte er sich tot.

Da nahm der Herr sie, pflückte noch einige Früchte, legte Tiere und Früchte in seinen Korb und trug den Korb auf seinem Kopf nach Hause. Im Gehen erwachte der Hase und wollte auch den Fuchs wecken, aber der Fuchs war tot. Da ass der Hase viele Früchte aus dem Korbe und stellte sich dann wieder tot. Als der Herr nach Hause kam, fand er nur noch wenige Früchte und wusste nicht, wie das zugegangen sein konnte.

Darauf legte der Herr beide Tiere mit Haut und Haaren in einen grossen Topf, dass sie gekocht würden. Als das Wasser heiss war, warf der Hase den Topf um, sprang heraus und entfloh. Der Herr verfolgte ihn, aber umsonst.

Quelle: Afrikanische Märchen, rororo-Verlag (Reihe Diederichs Märchen der Weltliteratur)

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