Ein hungriger Löwe strich einmal im Feld einher und suchte ein Tier, das er fressen könne, denn er hatte grossen Hunger. Er begegnete einem Hasen, sprang auf ihn zu und fing ihn, um ihn zu verschlingen. Da sagte der Hase: "Herr Löwe, friss mich nicht, denn du wirst doch nicht satt werden. Ich weiss dir etwas viel Besseres." - "Was ist das?" - "Einen grossen, grossen Käse." - "Wo liegt er?" - "Man hat ihn in einen Brunnen gelegt, damit er schön frisch bleibt und in der Hitze nicht austrocknet." - "Gut, so führ mich da hin! Ist es so, wie du sagst, dann werde ich dich laufenlassen, werde ich von deinem Käse nicht satt, dann werde ich dich hernach noch auffressen."
Der Hase führte den Löwen einen weiten Weg. Endlich wurde es Nacht, und da kamen sie zu dem Brunnen, von dem der Hase gesprochen hatte. Sie schauten über den Rand hinunter, und in dem Wasser unten spiegelte sich der Vollmond. "Siehst du den grossen Käse, Löwe?" - "Ja, ich sehe ihn, Hase. Schaff ihn herauf." - "Du musst mich mit dem Eimer hinunterlassen." Da liess der Löwe den Hasen am Eimer hinunter in den Brunnen. Der Hase trank sich satt, und dann rief er: "Löwe!" - "Ja, was ist?" - "Der Käse ist so gross. Ich kann ihn mit meinen Pfoten nicht richtig fassen." - "Nun, so werde ich dich wieder heraufziehen, und du musst mich selbst in den Brunnen abseilen."
Der Löwe zog den Eimer mit dem Hasen herauf und sprang selbst in den Eimer hinein. Da liess der Hase das Seil los, und der Löwe sauste mit dem Eimer hinunter in den Brunnen und ertrank. Der Hase aber ging zu den Hirten und liess sich von ihnen Milch geben, weil er den Löwen, der viele Rinder zerrissen hatte, besiegt hatte.
Quelle: Märchen aus Brasilien, rororo-Verlag (Reihe Diederichs Märchen der Weltliteratur)
